Montag, 15. November 2010

Abschiedsbrief

Jungchen,

ich hoffe, du weißt, dass ich dich damals nicht wegen dir verlassen habe. Als ich dich im Schwimmbad gefunden habe, wollte ich dir lebe wohl sagen und mich vergewissern, dass es dich nicht zu sehr verletzt, wenn ich gehe.
Da du aber nicht zu mir gekommen bist, konnte ich mit gutem Gewissen gehen. Das war einer der Gründe, weshalb ich gegangen bin. Es gab noch viele andere, aber die können dir egal sein.

Und jetzt zu meinem Selbstmord.
Dies sind die Gründe die dich was angehen:
Der wichtigste Grund für meinen Suizid ist, dass ich mich vor der Welt fürchte, in die ich nun nach 25 Jahren wieder betreten muss.
Außerdem empfinde ich es nun als sehr anstrengend, wenn ich viel mit Menschen reden muss.
Und der letzte Grund ist, dass ich das Leben einfach nur satt habe und ich nicht dort weitermachen kann, als ich bei der Bahn gekündigt habe und den Nazis beigetreten bin.

Ich will dir aber auch dafür danken, dass du mir vorgelesen hast, früher und auch jetzt, als ich gefangen war. Denn so habe ich mir einen Lebenswunsch noch erfüllen können, das Lesen und Schreiben zu lernen. Und ich will dir dafür danken, dass du dich meiner angenommen hast, mir einen Arbeitsplatzt und eine Wohnung organisiert hast und so weiter.

Hab dich lieb

Hanna

1 Kommentar:

J. Schiller hat gesagt…

Du gehst auf zahlreiche mögliche Gründe für Hannas Selbstmord ein. Schön, dass du auch auf den Abschied im ersten Teil eingehst, nennst jedoch keine Gründe, was mich als Leser jetzt noch interessieren würde.
Was mir in deinem Abschiedsbrief zu kurz kommt ist die Frage der Schuld, bzw. des Gewissens.
S. 187: Hanna zu Michael, als dieser sie besucht: "Auch das Gericht konnte nicht Rechenschaft von mir fordern. Aber die Toten können es. Sie verstehen. Dafür müssen sie gar nicht dabei gewesen sein, aber wenn sie es waren, verstehen sie besonders gut. hier im Gefängnis waren sie viel bei mir. Sie kamen jede Nacht, ob ich sie haben wollte oder nicht. Vor dem Prozess habe ich sie, wenn sie kommen wollten, noch verscheuchen können."
Dies wäre ein Aspekt, der in einem Abschiedsbrief auch noch erwähnt werden sollte. Du schreibst zwar, dass sie sich vor der Welt fürchtet, führst es aber nicht genauer aus. An dieser Stelle hätte dies beispielsweise angeführt werden können.